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Songül hat einen Tweet abgesetzt der traurig macht. Darunter meine Antwort

Der Tweet macht traurig, weil es sie ein trauriges Schicksal beschreibt.

Ich möchte hier gar nicht auf den eigentlichen Inhalt eingehen, also den politischen, was sie mit dem Tweet insgesamt ausdrücken wollte. Mich beschäftig mehr ihr Schicksal.

Ich möchte Leuten wie ihr eine Möglichkeit, eine andere Perspektive, bieten, mit der Trauer umzugehen.

Zuerst eine kleine Geschichte:

Einer Bekannten von mir ist kürzlich was äusserst peinliches passiert. Sie hat über 100’000 CHF an einen Mann geschickt im Glauben er würde seine Firma wieder zum laufen bringen und ihr das Geld wieder zurück zahlen.

Man muss wissen: diese Bekannte ist eigentlich die Seriosität in Person. Kenne kaum jemanden der soviel „nicht macht“, weil man es „nicht macht“. Sie ist Buchhalterin, seriös zu sein liegt ihr also im Blut.

Was ihr aber fehlt ist Selbstvertrauen. Schwierige Geschichte/Kindheit/Migration/Schwiegerfamilie. Ihr kennt es bestimmt.

Da kommt sie zu mir und bittet um Rat. Ich arbeite in der IT, und sie denkt, ich könne das Geld „Zurückhacken“ 🤣.

Kann ich nicht. Ich konnte ihr aber einen Rat geben, den gab ich ihr schon vor 10 Jahren wo wir uns aus den Augen verloren. Der Grund warum ich mich damals von ihr distanzierte: sie meckerte dauernd an was rum, wollte Unterstützung und Hilfe, wenn ich ihr Tips gab, befolgte sie die aber nicht. Irgendwann wird’s dann mühsam, sich dauernd diese wehleidigen Texte anzuhören.

Aber als sie neulich auf mich zukam, dachte ich: mal schauen, evtl. hat sich ja was getan.

Wir treffen uns, sie erzählt mir die Geschichte, und ich breche in lautes Lachen aus. Ich konnte mich echt kaum auf den Beinen halten. Die gesamte Geschichte hätte aus einem Thriller sein können. Sie ist sogar nach Spanien geflogen wo man ihr eine Kiste gezeigt hat die mit Nummernschloss abgeschlossen war. Sie bekam den Code auf ihr Handy, konnte die Kiste öffnen: Voller Euro Scheine. Den Fortgang könnt ihr euch selber ausmalen.

Nun gut, sie wollte Rat. Mein Rat war: vergiss das Geld, euch geht’s gut, ihr habt ein Haus, 2 Autos, könnt in die Ferien etc. etc. Sorge dich um dich selbst. Geh zu einem Therapeuten und finde heraus wieso du, die jedes Warnsignal wahrnimmt, darauf reingefallen bist. Finde heraus was du dir damit „erkaufen“ wolltest. Wenn du das herausgefunden hast, dann wirst auch du über dich lachen.

Ihr wisst es: sie findet 1000 Ausreden nicht zu einem Therapeuten zu gehen.

Was diese Geschichte mit der Geschichte von Songül verbindet?

Songül gibt eigentlich vor sie lebe nach „Leben und leben lassen“. Sie gibt aber auch zu, dass sie ihren Kopf hat, quasi durchgesetzt hat, sie hätte „durchgegriffen“, während ihr Mann den Dingen ihren Lauf liess.

Und genau hier setze ich an: vielleicht hat sich ja ihre Tochter nach der Trennung von ihr abgewandt, genau WEIL sie immer durchgegriffen hat. Songül denkt: hätte sie weiterhin durchgreifen können, hätte ihr Mädchen nicht Motorradfahrer gelernt, hätte den Unfall nicht gehabt, und wäre heute nicht gelähmt.

Ich denke: hätte sie gar nie, oder zumindest nicht immer und überall durchgegriffen, hätte sich das Mädchen nicht ihre „Freiheit“ erkämpfen müssen. Sie hätte dann gar nicht Motorradfahren gelernt, um es der Mutter „zu zeigen“. Das Mädchen würde vielleicht auch heute noch mit ihr reden, weil sie sich verstanden fühlt, respektiert fühlt.

Ich weiss, Songül, wird jetzt antworten: ich habe sie immer respektiert und geliebt. Und das bestreite ich auch nicht, zumindest nicht in dem Sinne wie Songül es meint.

Wer Songül’s Video aufmerksam zuhört, merkt, da ist viel Trotz/Stolz/Besserwissen. Nicht umsonst hat sie sich selbst gewählt 2019. Dann hat sie aber aufgegeben, weil sie gemerkt hat: mit ihrem Kopf kommt sie gegen die etablierten Mechanismen nicht klar. Darauf möchte ich jetzt auch nicht eingehen, ich will nur den Punkt raus streichen, dass Songül sehr wohl weiss was sie will. Und evtl. manchmal halt, wie mit ihrer Tochter, zuviel will.

Ich bin der festen Überzeugung, das Leben bringt einem IMMER was wir brauchen um zu lernen.

Ich selbst hatte Hautkrebs, habe meinem Körper zugehört, was er mir sagen will, und habe eine Beziehung die nicht gut für mich war beendet.

Ein Freund von mir, verheiratet, mit einer Emanze, hat ein Kind mit Down Syndrom. Auch hier: das Leben bringt was man bräuchte um zu lernen. Leider auch in diesem Fall, wird nicht gelernt, genau wie bei meiner Kollegin die 100’000 CHF verschenkt hat.

Manchmal muss man eben auf einer anderen Ebene suchen um die Lösung zu finden.

Versteht mich nicht falsch: Die Situation von Songül mit ihrer Tochter tut mir leid und macht mich ein Stück weit traurig. Aber noch trauriger macht mich die Tatsache, dass sie am falschen Ort nach der „Schuld“ sucht.

Ich wünschte mir für Songül, sie könnte dieses „Ich-weiss-besser-was-gut-für-dich-ist“ mit ihrer Tochter beilegen. Ihr einfach zuhören, sie verstehen, akzeptieren, dass auch ihre Tochter, genau wie Songül selbst, einen Trotzkopf hat. Dann können evtl. beide gemeinsam darüber lachen, so traurig die Situation auch ist.

In diesem Sinne wünsche ich Songül viel Kraft. Aber eben nicht Kraft noch härter sondern viel weicher zu werden, den „Dingen ihren Lauf lassen“.